Eine Erwiderung A. Nekrasovs auf einen am 17. Juni 2016 in der FAZ erschienen Artikel von A. Gross
Die FAZ-Redaktion hat im Juli 2016 die Veröffentlichung dieser Gegendarstellung mit der folgenden Begründung abgelehnt:
"Wir haben uns entschieden, mit genanntem Artikel (von Andreas Gross) das Kapitel vorerst einmal zu schließen."
Im Artikel „Magnizkis Ermordung" der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. Juni 2016 schuldigt mich Andreas Gross, ein bekannter Schweizer Politiker und Verfasser eines Untersuchungsberichts über den Fall Magnizki für die Parlamentarischen Versammlung des Europarates, einer Maniplulation und der Verbreitung der Unwahrheit an. Er setzt das Wort Dokumentarfilm in Bezug auf meine Arbeit in Anführungszeichen. Er hat es befürwortet, dass der öffentlich-rechtliche europäische Kulturkanal ARTE den Film „Der Fall Magnizki" nicht gezeigt hat.

Legen wir das Problem mit ARTE zur Seite. (Der Sender behauptet, dass der Film nur vorübergehend aus dem Programm genommen wurde). Was aber die Anschuldigungen von Herrn Gross betrifft, so beinhalten sie kein einziges wahres Wort. Weder in meinem Film noch in meinen Handlungen und Äußerungen gibt es eine Manipulation oder Verbreitung der Unwahrheit.

Ich behauptete und bestehe weiterhin darauf, dass Sergej Magnizki die russischen Polizeibeamten nicht des Diebstahls von 230 Millionen Dollar aus der Staatskasse beschuldigt hat. Daher hatte die Polizei kein Motiv, Magnizki wegen Enthüllungen zu verfolgen. In Wirklichkeit war er im Rahmen eines Strafverfahrens wegen Steuerhinterziehung festgenommen worden. Im Zuge der Ermittlungen wurde Magnizki zudem verdächtigt, sich an der betrügerischen Steuerrückerstattung in Höhe von 230 Millionen Dollar beteiligt zu haben. Er wurde - entgegen der weit verbreiteten Behauptung in keinem der beiden Strafverfahren posthum verurteilt.
Im Westen kennt man die Geschichte eines Sergej Magnizkis, der einen großen Diebstahl aus der Staatskasse entdeckt, untersucht und angezeigt hat. Dafür gibt es keine bjektiven Hinweise. Zwei Verhörprotokolle von Magnizki (vom 5. Juni und 7. Oktober 2008), die auf der Webseite von Bill Browder als Zeugnisse seiner Anklage gegen die Polizeibeamten präsentiert werden, beinhalten in Wirklichkeit keine Beschuldigungen.
Während der Vernehmungen beantwortet Sergej Magnizki - mitunter ziemlich ausweichend - die Fragen der Ermittler und zeigt gar kein Verbrechen an. Am 5. Juni 2008 erwähnt er unter vielen anderen auch die zwei Polizeibeamten: Kuznetsov nahm am 4. Juni 2007 an der Durchsuchung der Büros von Browders Hermitage Capital teil und Karpov führte die Ermittlung.

Wer von Browders Version voreingenommen ist, könnte eventuell folgende Aussage von Magnizki aus dem Verhörprotokoll vom 5. Juni 2008 als Anklage der Polizeibeamten bezeichnen: „Es ist durchaus möglich, dass die digitalen Dateien, die sich in den nach der Durchsuchung beschlagnahmten Computern der Fa. Firestone Duncan (CIS) Limited befanden, für die neue Version der Satzung benutzt wurden." Ohne die Polizeibeamten direkt zu beschuldigen, deutet Magnizki an, dass die Dateien in den beschlagnahmten Computern bei der Ummeldung des Firmenbesitzes benutzt wurden. (Im Nachhinein wurde soeben erwähnte Ummeldung von Browders Firmen als „Diebstahl" seiner Firmen bezeichnet).

Diese Logik kann aber keiner ernsthaften Beschuldigung zugrunde liegen, weil jeder Bürger der Russischen Föderation eine Kopie der Satzung dieser Art von Firmen beim „Einheitlichen Staatsregister für juristische Personen" bekommen kann. Magnizki impliziert, dass die Firmenbesitzer selbst diese Ummeldung nicht durchführen konnten. Eine objektive Untersuchung darf die Möglichkeit, das die Besitzer die Ummeldung selbst vornahmen, nicht ausschließen.
In der Chronologie der Ereignisse des Untersuchungsberichts von Herrn Gross steht: „Am 5. Juni 2008: Aussage von Herrn Magnizki, in der er Oberstleutnant Kuznetsov und Major Karpov der Verstrickung in den Firmendiebstahl und in die betrügerische Steuerrückerstattung beschuldigt.

Diese Behauptung trifft nicht zu. Sogar Bill Browder widerspricht dieser Behauptung und stimmt mir in einem Interview zu, dass Magnizki am 5. Juni 2008 nicht die Polizeibeamten des Diebstahls von 230 Millionen Dollar beschuldigt. Der Diebstahl aus der Staatskasse wird im Verhörprotokoll gar nicht erwähnt. Zudem weist nichts im Vernehmungsprotokoll von 5. Juni 2008 darauf hin, dass
Magnizki Karpov und Kuznetsov des Firmendiebstahls beschuldigt.

Während des zweiten Verhörs am 7. Oktober 2008 erhebt Magnizki keinerlei Anklage gegen die Polizeibeamten wegen Diebstahl von 230 Millionen Dollar. Er erwähnt nicht einmal ihre Namen.

Im Zuge meiner investigativen Recherche bin ich zur Schlussfolgerung gekommen, dass die Geschichte über den Enthüller Sergej Magnizki als Alibi für diejenigen fabriziert wurde, die in Wirklichkeit in den Diebstahl aus der russischen Staatskasse verwickelt waren. Davon handelt mein Film. Andreas Gross schreibt, dass seine Behauptungen bewiesen sind. Meines Erachtens beweist mein Film das Gegenteil.

Ich habe versucht in dieser kurzen schriftlichen Stellungnahme nur an einem Beispiel auszuführen, warum ich mit Herrn Gross' Schlussfolgerungen nicht einverstanden bin. Die ausführlichen Begründungen für meine Position habe ich in meinem Film in Einheit von Form und Inhalt dargelegt. Und eben die Veröffentlichung dieses Films wird jetzt praktisch verhindert.

Herr Gross muss den Film nicht mögen (unklar ist übrigens, wie er den Zugang zu dem noch nicht veröffentlichten Film bekommen hat), aber was berechtigt ihn, an meiner Gewissenhaftigkeit zu zweifeln? Alle meine zahlreichen Filme habe im Westen gemacht und bin als Kritiker der russischen Politik bekannt. Ein professioneller Journalist und Filmemacher, der eine große Finanzaffäre untersucht, die geopolitische Folgen nach sich zog, darf dabei nicht einfach so durch Politiker und Staatsbeamte gebremst werden, weil diese sich zu diesem Sachverhalt bereits eine eigene Meinung gebildet haben.
Andreas Gross, der den Untersuchungsbericht für die Parlamentarische Versammlung des Europarates verfasst hat, kann nicht als unparteiischer Kommentator meiner Kritik eben dieses Berichts angesehen werden.

Meine begründete Kritik an seinen Untersuchungsergebnissen als Manipulation brandmarkt, die auf einem rechtlich-öffentlichen TV-Sender nicht verbreitet werden darf, dann muss er sich die Frage gefallen lassen, ob seine Haltung noch demokratisch genannt werden kann.

Andrei Nekrasov
Berlin, 21.06.2016